Fallbeispiel Arbeitsplatz , , Wie geht man mit Radikalisierung von Menschen am Arbeitsplatz um? Wann ist die Sicherheit des Unternehmens und des Teams in Gefahr?
Diesen Inhalt gibt es auch auf
Wer das Gefühl hat, dass sich Mitarbeitende radikalisieren, sorgt sich nicht nur um das Team. Führungskräfte verantworten auch die Sicherheit ihres Unternehmens oder ihrer Einrichtung mit. Manchmal kann es auch gar nicht so einfach sein einzuschätzen, ob ein Mensch streng gläubig ist oder sich möglicherweise islamistischen Kreisen zuwendet. Chefinnen und Chefs, Kolleginnen und Kollegen können sich von den Fachkräften der Beratungsstelle Radikalisierung telefonisch beraten lassen.
Mitarbeiter will Kolleginnen und Kollegen missionieren
Tims* Ausbildungsleiter hatte den jungen Mann als gewissenhaften Auszubildenden kennengelernt. Er war meist für sich, ruhig, immer pünktlich und höflich. Umso überraschter war der Chef, als eine Auszubildende um ein vertrauliches Gespräch bat – es gehe um Tim, sagte sie. Die junge Frau wirkte bedrückt, sie konnte ihren Chef kaum ansehen. Es sei ihr sehr schwer gefallen, zu ihm zu kommen, sagte sie. Sie fühle sich wie eine Verräterin, aber so ginge es einfach nicht mehr weiter.
Tim hatte vor einigen Wochen angefangen, viel über den Islam zu reden. Anfangs hatten seine Kolleginnen und Kollegen sich nichts dabei gedacht. Glauben darf schließlich jeder, was er möchte. Mit der Zeit begann Tim allerdings, die Anderen mit seinen religiösen Belehrungen zu nerven. Ständig wollte er über den "richtigen" Glauben diskutieren und wieso gerade seiner der einzig wahre sei. Die Anderen nannten ihn schon bald "den Missionar", wenn er nicht dabei war. Und das kam immer häufiger vor. Tim hörte auf, mit den Anderen in die Kantine zu gehen. Auch beim Azubi-Stammtisch tauchte er nicht mehr auf. Dafür wurde er teilweise aggressiv, wenn es um Religion ging.
Tim beschimpft seine Kollegin als Ungläubige
Eskaliert war die Situation, als er mit der jungen Frau aneinandergeraten war, die danach ihren Chef um das Gespräch bat. Sie hatte gesehen, dass Tim, statt zu arbeiten, auf religiösen Websites surfte. Als er bemerkte, dass sie hinter ihm stand, hatte er sie, die Andersgläubige, als Gottesleugnerin und Ungläubige beschimpft.
Wie vorgehen, wenn sich ein Mitarbeiter radikalisiert?
Nachdem die junge Frau ihre Erlebnisse geschildert hatte, sah der Vorgesetzte sie prüfend an. Sie war eine gute Mitarbeiterin, immer loyal und freundlich. Jetzt sah sie unglücklich aus. Er dankte ihr für ihre Offenheit, schloss die Tür hinter ihr und setzte sich an seinen Schreibtisch. Was er gehört hatte, beunruhigte ihn. War Tim in Gefahr – oder sogar gefährlich? Drohte die Arbeitsatmosphäre zu kippen? War das schon passiert, ohne dass er es bemerkt hatte? Und dann die Webseiten, die Tim besucht hatte. Hatte er auch Dateien heruntergeladen? Und konnte Tims Verhalten das ganze Unternehmen gefährden? Er wollte mit weiteren Auszubildenden sprechen, um mehr über den jungen Mann zu erfahren. War er nur streng gläubig und beseelt von dem Gedanken, andere von seinem Glauben zu überzeugen, oder hatte er sich möglicherweise radikal islamischen Kreisen zugewendet?
Klärung durch die Beratungsstelle Radikalisierung
Tims Chef sprach mit drei weiteren jungen Leuten aus seinem Team und dem Sicherheitsbeauftragten des Unternehmens. Dieser riet ihm, die Beratungsstelle Radikalisierung anzurufen. Durch das Gespräch fand der Mitarbeiter der Hotline immer mehr Hinweise darauf, dass Tim sich radikalisieren könnte. Genauer feststellen könne man das aber nur vor Ort. Dazu brauche man auch Zeit und weitere Gespräche, sagte der De-Radikalisierungsexperte. Er gab dem Chef erste Tipps, wie er mit Tim am besten umgehen sollte und was er tun könne, um das Team und seine Firma zu schützen. Dann vermittelte er dem Anrufer einen Kontakt zu einem Kooperationspartner vor Ort, dessen Beraterinnen und Berater Erfahrung im Umgang mit Radikalisierung hatten.
Seit der Berater vor Ort den Chef und das Team begleitet, findet mehr Austausch zwischen Tim, seinem Chef und den anderen Kolleginnen und Kollegen statt. Der junge Mann ist wieder offener geworden und wird gerade wieder aktiver Teil des Teams. Der Chef ist erleichtert, dass Tim seine Ausbildung voraussichtlich gut abschließen wird und die Atmosphäre im Team wieder entspannt und kollegial ist.
* Der Fall Tim ist fiktiv. Wir behandeln alle Informationen unserer Anruferinnen und Anrufer streng vertraulich, deshalb wird hier kein reales Beispiel beschrieben.